Entscheidung Nr. 724/2010

Antrag

 

AntragstellerIn, Status

Julie M., Ablehnung

Öffentliches Eigentum

Stadt Wien

Vermögensart

unbeweglich

Liegenschaft/en in

KG Hietzing (01205), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen
KG Innere Stadt (01004), Wien, Wien | auf Landkarte anzeigen
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Entscheidung

 

Nummer

724/2010

Datum

22.11.2010

Gründe

Rückstellung nach 1945 bereits erfolgt
Keine Zuständigkeit der Schiedsinstanz bzw. kein Anwendungsbereich des EF-G
Keine Entziehung iSd EF-G

Typ

materiell

Anonymisierter Volltext

Pressemitteilung

Pressemitteilung Entscheidung Nr. 724/2010

Wien, Hietzing
Die Schiedsinstanz für Naturalrestitution hat am 22. November 2010 einen Antrag auf Rückstellung von im Eigentum der Stadt Wien stehenden Straßenflächen in Wien, Hietzing abgelehnt. Der jüdische Eigentümer jener Liegenschaft, zu der die antragsgegenständlichen Flächen im Jahr 1938 gehört hatten, war schon vor dem „Anschluss“ überschuldet und von seinen GläubigerInnen bedrängt worden. Die Liegenschaft wurde schließlich 1940 zwangsversteigert. Die Schiedsinstanz gelangte nach eingehender Prüfung der Vermögensverhältnisse des früheren Eigentümers zu dem Schluss, dass für diesen im März 1938 keine reelle Aussicht bestand, seine Schulden zu tilgen, ohne dabei auch diese Liegenschaft zu verlieren. Da unter diesem Gesichtspunkt keine Vermögensentziehung aufgrund der Verfolgung des Eigentümers vorlag, lehnte die Schiedsinstanz den Antrag ab. Die Rückgabe einer ebenfalls beantragten Liegenschaft in Wien, Innere Stadt konnte auch nicht empfohlen werden, da bereits im Jahr 1950 eine österreichische Behörde deren Rückstellung an die ErbInnen des ursprünglichen Eigentümers verfügt hatte.

Die beantragten Flächen, 656 m² Straßengrund in Wien, Hietzing, waren am 12. März 1938 Teil einer Liegenschaft, die im Eigentum des jüdischen Bankiers und Kaufmanns Sigmund B. stand. Auf der Liegenschaft mit einer Gesamtfläche von rund 13.000 m² befand sich eine 1871 erbaute herrschaftliche Villa. Diese und drei weitere Liegenschaften in Wien, Innere Stadt, die Sigmund B. am 12. März 1938 besaß, waren seit Mitte der 1930er-Jahre mit Hypotheken unter anderem für Forderungen zweier ausländischer Geschäftspartner, Albert J. und Salomon T., und für Steuerforderungen des Bundes und der Stadt Wien belastet, die den Wert der Liegenschaften deutlich überstiegen. B. hatte außerdem aus einer früheren Geschäftsbeziehung mit der Österreichischen Postsparkasse Schulden in der Höhe von 8,6 Millionen Schilling und schuldete weiteren GläubigerInnen, die keine hypothekarischen Sicherheiten hatten, Beträge von mehreren hunderttausend Schilling.

Sigmund B. hatte Ende 1936 mit der Postsparkasse und dem österreichischen Bundesschatz ein Übereinkommen zur Tilgung seiner Schulden getroffen. Darin hatte er sich verpflichtet, der Postsparkasse insgesamt elf Liegenschaften lastenfrei zu übergeben und den Steuerbehörden 130.000,– Schilling zu bezahlen. Die Liegenschaft in Wien, Hietzing war von dieser Vereinbarung ausdrücklich ausgenommen. Bis zum Sommer 1937 hatte Sigmund B. acht Liegenschaften übergeben, für eine weitere hatte er der Postsparkasse den Schätzwert bezahlt. Seither verhandelte er mit der Postsparkasse über eine Abfindungszahlung für die beiden verbliebenen Liegenschaften. Zu diesem Zweck wurde Anfang März 1938 für Sigmund B. ein Betrag von 200.000,– Schilling bei einem Treuhänder erlegt. Auch mit Albert J. verhandelte Sigmund B. seit Herbst 1937 über eine Ermäßigung seiner Schuld. Zu einem Abschluss der Verhandlungen kam es jedoch in beiden Fällen bis zum „Anschluss“ nicht.

Salomon T. hatte noch 1937 die Versteigerung der Einrichtungsgegenstände der Villa in Wien, Hietzing einleiten lassen. Mehrere weitere GläubigerInnen, die keine Sicherstellungen für ihre Forderungen hatten, hatten B. zur Leistung des „Offenbarungseids“ angehalten.

Sigmund B. wurde bereits am 12. März 1938 beim Versuch, aus Österreich zu fliehen, festgenommen. Im Februar 1942 wurde er während eines Deportationstransportes nach Riga ermordet.

Nachdem das Inventar der Villa in Wien, Hietzing im Juli 1938 zwangsversteigert worden war, beantragte Salomon T. im August desselben Jahres auch die Zwangsversteigerung der Liegenschaft. Diese erfolgte schließlich im September 1940. Den Zuschlag erhielt Adolf K. um 94.050,– Reichsmark, was der Hälfte des Schätzwertes entsprach. Außerdem zahlte K. 56.430,– Reichsmark an die NS-Vermögensverkehrsstelle als „Entjudungsauflage“.

Auch die drei Liegenschaften in Wien, Innere Stadt waren Gegenstand von Versteigerungsverfahren, die jedoch eingestellt wurden. Der vereinbarte Verkauf zweier Liegenschaften kam nicht mehr zustande, da Sigmund B.s Vermögen dem Deutschen Reich verfiel.

1948 brachten die ErbInnen Sigmund B.s einen Antrag auf Rückstellung der Liegenschaft in Wien, Hietzing ein, den die Rückstellungskommission Wien jedoch im Februar 1950 ablehnte. Die näheren  Umstände des Verfahrens sind unbekannt. Auch die Begründung der Rückstellungskommission ist nicht überliefert, da lediglich eine Teilabschrift des Erkenntnisses erhalten geblieben ist.

Aus der Liegenschaft wurden für eine 1955 errichtete Straße insgesamt 641 m² unentgeltlich an das öffentliche Gut abgetreten. Eine Fläche von 15 m² erwarb die Gemeinde Wien im Jahr 1969. Die übrige Liegenschaftsfläche befand sich am 17. Jänner 2001, dem Stichtag nach dem Entschädigungsfondsgesetz, in Privateigentum.

In ihrer Entscheidung hatte die Schiedsinstanz die Frage zu klären, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Zwangsversteigerung der Liegenschaft und der Verfolgung Sigmund B.s als Jude bestand. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass Anfang März 1938 zwar für Sigmund B. eine reelle Möglichkeit bestand, sich mit der Postsparkasse und Albert J. zu einigen, allerdings bestand die konkrete Gefahr, dass andere GläubigerInnen diese Vereinbarungen durch einen Konkursantrag oder eine Anfechtung noch zum Scheitern bringen würden. Selbst unter der Annahme, dass Sigmund B. eine vollständige Entschuldung gelungen wäre, war nicht erkennbar, wie diese hätte möglich sein sollen, ohne dass die übrigen GläubigerInnen auf seine Liegenschaft in Wien, Hietzing zugegriffen hätten.

Da demnach die unbestrittene Verfolgung Sigmund B.s für die Veräußerung der Liegenschaft in Wien, Hietzing nicht ausschlaggebend war, lehnte die Schiedsinstanz den Antrag auf Naturalrestitution ab.

Auch aus einer der drei früher Sigmund B. gehörenden Liegenschaften in Wien, Innere Stadt war 1961 eine Teilfläche von 36 m² an das öffentliche Gut abgetreten worden. Da die betreffende Liegenschaft, wie auch die beiden übrigen, aufgrund einer diskriminierenden Rechtsvorschrift – der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz – eingezogen worden war, handelte es sich hierbei zweifellos um einen Entzug. Die Liegenschaften wurden allerdings von der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland im April 1950 an die ErbInnen Sigmund B.s zurückgestellt. Die Schiedsinstanz konnte daher eine neuerliche Restitution nicht empfehlen.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmter Text, der die Schiedsinstanz nicht bindet.
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